Das Weide- und Schaarrecht - Rheindorf Mehrum

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Das Weide- und Schaarrecht

Alle, die in Mehrum über Grundbesitz verfügten, waren an dem Grind weideberechtigt. Doch war es nicht so, daß jeder Hausmann eine beliebige Anzahl Weidevieh dort eintreiben konnte. Das richtete sich nach dem Weide- und Schaarrecht, das den einzelnen Höfen und Katen anklebte. Man sprach auch von Weidegängen. Ihre Zahl richtete sich nach der Größes des Grundbesitzes. Es ist anzunehmen, daß die Dorfgemeinschaft unter sich selbst festgelegt hat, wie groß das Weide- und Schaarrecht oder die Zahl der Weidegänge für jeden Hof sein sollte. Und diese Regelung muß schon in weit zurückliegender Zeit erfolgt sein; denn als 1487 das Kloster Marienkamp in Dinslaken den Wennen Hof und den Bongerts Hof in Mehrum kaufte, bestand sie bereits.
Ein ganzer Weidegang berechtigte zum Eintreiben einer Kuh oder eines Füllen, ein halber für ein Kalb. Wer ein Pferd auf die Gemeinschaftswiese eintreiben wollte, mußte über 1 1/2 Weidegang verfügen können. *11) Hätte jemand Recht auf 4 Weidegänge, so konnte er einschaaren entweder 4 Kühe, oder 2 Kühe und 4 Kälber, oder 2 Pferde und 1 Füllen, oder 1 Pferd mit 1 Füllen, 1 Kuh und 1 Kalb.
Das stand in seinem Belieben. Nach einem Schaarzettel vom 1. Mai 1670 standen dem Sarres Freitag 13 Weidegänge zu. *12) Er trieb ein 2 Pferde, 1 Füllen, und 9 Kühe.
Konnte jemand sein Weiderecht mit eigenen Tieren nicht voll ausnutzen, so durfte er die übrigen Gänge verpachten. Derk Rühl in Mehrum pachtete 3 Weidegänge, die dem Kloster Marienkamp zustanden. *13) Am 25. September 1768 nahm Heinrich Kaldenhoven u. a. 3 Kuhweidegänge vom Staat, dem die im Rheinberger Grind liegende Schanze gehörte, in Erbpacht. *14)
Beim Verkauf eines Hofes ging das anklebende Weiderecht auf den neuen Besitzer über. Am 28. Oktober 1752 hat Hermann Lehmkuhl die Hälfte von Lehmkuhls Hof in Reeshoven mit 12 Weidegängen für 1.100 Taler angekauft. *15)
Die Weidegänge konnten aber auch für sich allein verkauft oder verpachtet werden. 1591 beantragt Enneken Kalthoff einen Weidegang als ihr Erbteil von Wilhelm Freitag, den dieser von Lemm gekauft hatte. 1759 bringt Ludwika Pontkeese aus Voerde ihrem Ehemann Hermann Möltgen in Möllen einen halben Weidegang als ihr elterliches Erbe mit in die Ehe. *16)
Maßgebend für die Anzahl der zur Einschaarung kommenden Tiere war auch der jeweilige Graswuchs. Ließ der zu wünschen übrig, so erhielt jeder Berechtigte nur einen gewissen Prozentsatz seiner ihm sonst zustehenden Weidegänge. In jedem Frühjahr stellte eine Kommission fest, wieviel Tiere ihre Nahrung auf der Gemeindeweide wohl finden könnten. Danach wurde der sogenannte Schaarzettel angefertigt, aus dem jeder ersehen konnte, wieviel Gänge ihm zufielen. Dabei kam es nicht selten vor, daß der eine oder andere sich benachteiligt glaubte und sich beschwerte, auch wohl den Richter um Hilfe anging. Das führte dazu, daß 1669 beschlossen wurde, von nun an den Richter bei der Aufstellung des Schaarzettels mitwirken zu lassen, damit etwa aufkommende Streitigkeiten gleich beigelegt werden konnten. Richter und Gerichtsschreiber erhielten für ihre Bemühungen ein Douceur im Betrage von 17 Reichstalern 30 Stübern, oder, wenn es ihnen beliebte, einige Weidegänge, der Richter deren drei, der Gerichtsschreiber zwei.
Der Tag des Eintreibens wurde durch Kirchenruf bekanntgegeben. Es war seiner Zeit Brauch, besondere Angelegenheiten, wie Verordnungen der Behörden, des Deichgräfs, der Gemeinde, öffentliche Verkäufe und dergl. des Sonntags nach dem Gottesdienst auf dem Kirchplatz ausrufen zu lassen.
Wenn nicht besondere Umstände daran hinderten, geschah der Auftrieb am 1. Mai des Jahres. Das war für die Mehrumer ein großer Tag. Man denke sich nur den Tumult, wenn Kühe und Jungvieh, die Monate lang in dumpfen, wenig belichteten Stallungen gestanden, nun von der Kette gelöst und in den hellen Tag geführt wurden! Das eine Tier bockte, das andere wollte davon rennen, das eine ließ sich willig leiten, das andere versuchte eigene Wege zu gehen. Und da alle Ställe fast zur gleichen Zeit geöffnet wurden, kam es auch vor, daß das Vieh des einen Hofes sich unter dasjenige des anderen Hofes mischte. Da gab es denn sicherlich viel Gerufe und Geschrei, oft übertönt von dem Gebrüll der freiheitslüsternen Ausreißer.
Sammelplatz war der Schloßhof von Haus Mehrum. Hier standen der Richter, der Rentmeister von Haus Mehrum und zwei Deputierte der Gemeinde, die darauf zu achten hatten, daß keiner mehr Tiere brachte, als ihm Weidegänge zustanden. Alle Tiere wurden gekennzeichnet, indem man ihnen die Buchstaben M G (Mehrumer Grind) aufbrannte. Damit kein Mißbrauch mit dem dazu verwendeten Werkzeug getrieben werden konnte, hatten die Deputierten oder der Rentmeister es in Verwahrung zu halten.
War das Weidevieh gezählt und gezeichnet, so konnte die Reise zum Grind angetreten wer¬den. Dort nahm der Gemeindehirte die Herde in seine Obhut. Hin und wieder kontrollierten die Deputierten, ob nicht heimlich irgendwelches Weidevieh der Herde zugeführt war, das nicht dorthin gehörte. Solches verfiel der Beschlagnahme und dessen Besitzer erhielt eine Strafe von 3 Goldgulden für den Staat, dazu kam noch ein Viertel Bier für die Nachbarn.
Um die Ausgaben zu decken, welche die Anstellung des Hirten, das Entgelt für die Deputierten und den Richter erforderten, war für jeden ganzen Weidegang 1 Taler zu zahlen.
Nördlich angrenzend an die Gemeindeweide lag eine Weide des Hauses Mehruni. Die Grenze war durch Hecken, Bäume und Sträucher gekennzeichnet, und im allgemeinen lebten die Angrenzer miteinander in Ruhe und Frieden.
„Als durch das erbärmliche, elende Kriegswesen von den Besatzungstruppen zu Rheinberg Zäune und Holzgewächs verdorben und abgehauen, so daß die Grenze verwischt war, man auch keine Besserung sah, daß jeder das Seinige nach Gebühr wieder befrechten könne, kamen am 2. Mai 1616 in Gegenwart des Wohledlen Herrn Landdrosten Lützenradt, wie auch des Richters von Götterswickerhamm, Martin v. Willich, etliche Nachbarn von Mehrum, darunter der Rentmeister von Haus Mehrum, zusammen und beschlossen, in diesem Jahr und wenn es sein müsse, auch fernerhin, beide Weiden gemeinsam zu beschaaren, ohne jemand zu benachteiligen."
Aber einmal kam es doch zu einem langen Streit: Es handelte sich um einen Streifen Vorland, der durch Ablagerung des alten Rheins entlang der beiden Weiden nach der Rheinberger Seite hin entstanden war. Der Rentmeister hatte den ganzen Anwuchs für seinen Herrn auf Haus Mehrum in Besitz genommen, ohne Rücksicht darauf, daß der Teil, welcher der Gemeindeweide vorgelagert war, der Gilde zustand, und zum Zeichen der Besitzergreifung zwei große Steine gesetzt und eine Anzahl Weidenstecklinge gepflanzt. Das ließen sich die Nachbarn aber nicht gefallen. Eines Tages gingen sie hin, es war der 16. März 1667, und rissen die Steine samt den Stecklingen wieder aus. Zwei Jahre stritten sie nun um ihr Neuland, bis schließlich eine Einigung herbeigeführt wurde, indem die Nachbarn dem Gegner in Anbetracht der Vergrößerung ihrer Weide einige Weidegänge auf ihrem Grind zubilligten. *17)
Eines Tages herrschte unter den Nachbarn große Aufregung. Wodurch sie veranlaßt wurde, ergibt sich aus ihrer Eingabe an die Regierung unter dem 17. Juli 1782. Darin wird berichtet:
„Der Mehrumsche Grind ist eine gemeinschaftliche Weide und wird Anfang Mai gemeinschaftlich beschaart. Wer seine Weidegänge nicht selbst braucht, verpachtet sie. Die Weide dient nicht als Fettweide und auch nicht für den Handel, sondern wird nur mit Milchvieh betrieben.
Jetzt, bei der diesjährigen Einschaarung, hat ein Zollbedienter, namens Schniewind, sich eingefunden. Auf die Frage, was er hier tue, gab er zur Antwort, er käme von der Zollinspektion und sei beauftragt, von dem Vieh, das nicht von Mehrum käme, sondern von Rheinberg oder Moers oder anderswo her, den Licent (Zoll) einzufordern nach dem Licent-Reglement de dato 25. September 1725. Es ist hier sogar ein Zollpfahl hingesetzt worden. Da es nicht Ort und Zeit war, sich mit dem Zollbedienten einzulassen, protestierten wir mit dem Vorbehalt, unsere Gerechtsame höheren Ortes geltend zu machen.
Trotzdem forderte der Zöllner für fremde Fohlen 10 Stüber, für eine Kuh 7 1/2, für ein Rind oder Kalb 2 Stüber, nebst einem Groschen für einen angeblichen Paß, der in einem Stückchen Papier bestand, das er mit einigen Zeichen beschrieben hatte. Ferner verlangte er für Expeditionsgebühren 4 Stüber. Von allem gab er keine Quittung. Als er nun überführt wurde, daß er von dem einen mehr, von dem andern weniger genommen hatte, entschuldigte er sich, es sei ein Versehen.
Wir bitten, diesen Übelstand abzustellen und uns in unserer Gerechtsame zu schützen!” Darauf entgegnete die Regierung, die neue Zollstätte *18) diene zur Verhinderung von Unterschlagungen und zur Bequemlichkeit der Leute, die hier ihre zollpflichtigen Güter abfertigen lassen könnten. Die Geerbten des Grindes sollten sich beruhigen, es sei denn, daß die Zollforderungen überschritten würden. *19)
Wie so vielen andern, brachte die Annektion des linksrheinischen Gebiets durch die Franzosen im Jahre 1794 auch den Mehrumern großes Leid. Ihre Gemeinheitsweide verfiel der Beschlagnahme. Sie wurde französisches Staatseigentum. Damit ging ihnen dieser uralte, wertvolle Besitz für immer verloren.
Nun brauchte die Gilde kein Milchschiff mehr. Das Geld, das sie sonst dafür aufgewandt hatte, konnte sie jetzt der Schule zuwenden. Daher auch die erhöhten Zuschüsse für den Lehrer, von denen schon berichtet wurde. Doch als die Lehrerbesoldung von Staats wegen geregelt wurde, da war die Nachbarschaft auch dieser Sorge ledig. Nun blieb ihr nur noch die eine Aufgabe, ihren Mitgliedern billige Särge zu beschaffen. Alte Mehrumer Eingesessene wissen sich noch zu erinnern, daß zu ihrer Schulzeit die Planken für die Särge auf dem Schulsöller lagerten und ein von der Gilde berufener Schreinermeister die Gildensärge anfertigte. Mit der Zeit wurde dieser alte Brauch auch aufgegeben. Statt des Kistfaß erhielt die Nachbarschaft ein Sterbegeld.

1) Nachbarlasten = Wegearbeit. Wachdienst, Einquartierung.
2) Fehrmann = Fährmann. Dahm = Damian oder Adam, Dark = Dietrich, Garrit = Gerhard. Pater Rector = Betreuer der Klosterfrauen im Kloster
Marienkamp zu Dinslaken.
Kaufkraft = 1 Taler = 30 Stüber. 1705 kostete 1 Pfund Butter 5 Stüber, 1 Pfund Brot I Stüber, 1 Pfund Rindfleisch 2 Stüber. Ein Tagelöhner ver-
diente am Tag 18 Stüber.
3) Es kam auch sonst vor, daß statt mit Bargeld mit Bier bezahlt wurde. 1655 bezahlte Heinrich Lehmkuhl von der Lehmkuhls Kate im V oerder
Vorbruch für ein Pachtland 1/2 Tonne Bier. (Vgl. HSTAD, Kleve Lehen, Specialia Nr. 147).
4) Gottesheller = eine Spende für die Armen.
5) Krüskens Haus ist die heutige Gastwirtschaft Mölleken in Mehrum.
6) Die Landwehr wird des öfteren erwähnt. 1487 verkauft Dietrich v. Hackfort zu Mehrum ein Stück Land an der Landwehr. 1590 gehören zum Wennen Hof zwei Grundstücke im Rheinfeld, von denen jedes mit einem Ende an die Landwehr stößt. 1664 liegt ein Stück desselben Hofes am
Rhinumschen Weg nach der Landwehr hin. (Vgl. HSTAD, Kloster Marienkamp zu Dinslaken, Akten Nr. 18 und Nr. 32).
7) HSTAD, Kleve Kammer, Akten Nr. 1572.
8) Ebd.. Kleve Kammer, Akten Nr. 1572.
9) Am Spitzberg war in Lippedorf. Adam Dickmann besaß dort ein Wirtshaus.
10) HSTAD, Kloster Marienkamp zu Dinslaken, Akten Nr. 18.
11) Ebd.. Herrenstrunden, Membrum Walsum, Akten Nr. 18.
12) Ebd., Johanniter zu Wesel, Akten Nr. XXX.
13) Ebd., Kloster Marienkamp zu Dinslaken, Akten Nr. 18.
14) Ebd.. Kleve Kammer, Akten Nr. 608.
15) Ebd.. Klevische Gerichte, Landgericht Dinslaken, Akten A 11.
16) Ebd., Klevische Gerichte, Landgericht Dinslaken, Akten B 3.
17) Ebd., Kloster Marienkamp zu Dinslaken, Akten Nr. 18.
18) Die Zollerhebungsstelle an der Rheinberger Fähre wurde im Herbst 1781 errichtet. Der Rheinberger Grind, früher Mehrumer Grind, gehörte zum Amt Götterswickerhamm, war preußisches Gebiet. Rheinberg gehörte zum Kurfürstentum Köln, galt demnach als Ausland. Zwischen beiden zog sich einst als natürliche Grenze der Rhein hin. ES war dadurch ein leichtes, den Verkehr hin- und herüber zu überwachen. Das änderte sich aber, als durch die Verlagerung des Rheins diese Grenze fortfiel. Entstandene Schwierigkeiten veranlaßten die Regierung, den Grind, der bisher dem Zollamt zu Dinslaken unterstand, dem Bereich des Zollamtes zu Orsoy zuzuweisen, und dieses richtete 1'781 an der Rheinfähre eine Zweigstelle ein.
19) HSTAD, Kleve Kammer, Akten Nr. 143.

Gilde-Buch Mehrum. Kopie einer Eintragung aus dem Jahre 1703.
 
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